Wangerooge – Am 16.03.23 gegen Mittag kam es in der Deutschen Bucht, am südwestlichen Rand des Verkehrstrennungsgebietes „TSS Terschelling German Bight“ zu einer Kollision zwischen den Schiffen MSC TOE und BBC MERCURY, wobei eine große Anzahl von Containern über Bord ging.
Das Havariekommando in Cuxhaven stellt kurze Zeit später die „Komplexe Schadenslage“ fest und übernahm die Gesamteinsatzleitung. Während die Havaristen selbstständig den Jade-Weser-Port anliefen, ergab die Driftprognose des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, dass Ladungsteile, darunter auch Gefahrgut, auf Wangerooge angespült werden könnten. Der Landkreis Friesland erhielt den Auftrag, eine Einsatzleitung Ort (ELO) zu bilden und brachte seine Kreisfeuerwehrbereitschaft Gefahrgut in den Einsatz. Soweit zu den Rahmenbedingungen für eine Großübung der Kreisfeuerwehrbereitschaft Gefahrgut des Landkreises Friesland, an denen neben den Feuerwehren aus den Gemeinden Bockhorn, Jever, Sande, Schortens, Varel, Wangerland, Wangerooge und Zetel, auch Mitarbeiter der FTZn Wittmund und Jever, Helfer des THWs aus den Ortsverbänden Jever und Norden sowie eine rettungsdienstliche Komponente der Johanniter Unfallhilfe und Mitarbeiter des NLWKN beteiligt waren. Die Gesamtleitung der Übung lag beim Havariekommando, das ebenfalls mit Mitarbeitern vor Ort war. Eingesetzt wurden insgesamt rund 130 Einsatzkräfte mit etwa 20 Fahrzeugen, Anhängern und mehreren Abrollbehältern. Am Nachmittag des 16.03.23 setzte ein Vorauskommando aus Einsatzleitung und Übungsleitung nach Wangerooge über, wo auch schon das erste Szenario startete: Am Bauhof hatte man einen Kanister abgegeben, der mit kyrillischen Buchstaben beschriftet war. „Saunakonzentrat Deutscher Wald“, wie sich bei der Erkundung herausstellte. Am frühen Morgen des nächsten Tages, mit einsetzender Ebbe, begann die Verlegung von Einsatzkräften und Fahrzeugen vom Festland auf die Insel. Dies geschah mit der regulären Fähre sowie mit den Mehrzweckschiffen Leyhörn und Leysand des NLWKN.
Im Laufe des ersten Übungstages wurden drei verschiedene Lagen bearbeitet: Zum einen am Strand, in der Nähe der Nationalparkstation Ost und im Bereich des Uferdeckwerks und zum anderen nahe der Jugendherberge, im Westen der Insel. Auf dem Festland wären die Chemikalien (beispielsweise Ätznatron, Brennspiritus und ein Härter für Epoxidharz) in Behältern von 10 bis 200 l leicht zu beherrschen gewesen. Besonderheiten der autofreien Insel Wangerooge stellten die Einsatzleitung aber vor viele Herausforderungen, auch nach der Landung der Einsatzkräfte: Paradoxerweise waren die zur Verfügung stehenden Flächen auf der Insel knapp und die Wege weit. Der Material- und Personaltransport vom Festland war immer an den Hafen gebunden, die Wege auf der Wangerooge sind häufig so schmal, dass sie mit schweren Fahrzeugen nur im Wechselverkehr befahren werden können. Vom Anleger zur Einsatzstelle im östlichen Bereich waren fast 8 km zurückzulegen. Unter einer halben Stunde waren die nicht zu schaffen. Bereitstellungsräume und Logistikstandorte sind nur auf befestigten Flächen abseits der Verkehrswege denkbar. Die sind rar; genutzt wurde der Flugplatz als Bereitstellungsraum, das Feuerwehrhaus als Führungs- und Versorgungsstelle und eine Straßenkreuzung an der Nationalparkstation Ost als Dekon-Bereich bzw. Schleuse ins Einsatzgebiet.
Hieraus resultierten erhebliche Logistikzeiten sowie Fahrzeugbewegungen, was von Anwohnern und Urlaubern teilweise kritisch betrachtet wurde. Neben den Belangen des Fremdenverkehrs war auch zu berücksichtigen, dass sich die Einsatzkräfte zum Teil innerhalb des Nationalparks Wattenmeer und an/auf Hochwasserschutzbauwerken bewegten.
Ein Hindernis stellte der Dünengürtel dar. Strandseitig war der Betrieb eines Dekon-Platzes ausgeschlossen. Der Sand hätte Mannschaft und Technik zu schaffen gemacht. Der Weg vom Dekon-Platz zum Einsatzort betrug in Folge dessen etwa 750 m. Alle Einsatzkräfte mussten über einen unbefestigten Wirtschaftsweg durch die Dünen und anschließend über den Strand gebracht werden. Für CSA-Träger war dieser Fußweg nicht in akzeptabler Zeit zu schaffen. Die Rettung von Patienten und auch der An- und Abmarsch eines Sicherheitstrupps wären fußläufig nicht darstellbar gewesen. Kreative Lösungen waren daher gefragt. Damit diese (von der Übungsleitung vorgeplanten) Lösungen den Aspekten der Arbeitssicherheit genügten, wurde vom Havariekommando ein Sicherheitsingenieur gestellt, der vor Ort jeweils eine Einzelfallbetrachtung durchführte. Ein Transport von Einsatzkräften auf einer LKW-Pritsche wurde als zu unsicher abgelehnt. Auf Basis einer Gefährdungsbeurteilung und den abgeleiteten Sicherheitsvorkehrungen war ein Transport der Einsatzkräfte in der Mulde von Hägglunds-Kettenfahrzeugen möglich und wurde durchgeführt. Für diese kompakten Kettenfahrzeuge stellen Dünen und Wasser kein Hindernis dar, sie können darüber hinaus mit einem Ladekran ausgestattet werden, der die Bergung von Fässern erlaubt.
Nach einer Pause fand am Abend eine Übung im Westen von Wangerooge, in der Nähe der Jugendherberge, statt. Hierbei wurden fast alle Einsatzkräfte eingesetzt, weil auch eine Personen-suche durchgeführt werden musste. Für viele Einsatzkräfte endete der Übungstag gegen Mitternacht. Am folgenden Tag wurde erneut im Osten der Insel geübt. Angenommen wurde, dass mehrere Fässer mit einem hochtoxischen Begasungsmittel (Aluminiumphosphid) angetrieben wurden. Ein Passant war in der Nähe der Fässer kollabiert. Neben der Menschenrettung und der Bergung der Fässer wurden hier die Dekontamination eines Verletzten und die Übergabe an den Rettungsdienst durchgespielt. Der Transfer der Einsatzkräfte und Fahrzeuge zurück ans Festland startete mit dem Abendhochwasser am 18.03.23 und wurde mit dem Morgenhochwasser des 19.03.23 abgeschlossen. Auch wenn es kritische Stimmen aus der Mannschaft gab, die sich beispielsweise erstaunt ob der langen Leerlaufzeiten zeigten, haben Übungsleitung und Führungskräfte ein positives Fazit gezogen. Bemerkenswert war die reibungslose Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen. Ein besonderer Dank gilt der Feuerwehr Wangerooge für die Unterstützung und die Gastfreundschaft.
Text und Bilder: Oliver Schweder