06.09.2021 – Einsatz von Führungskräften der Berufsfeuerwehren im Katastrophengebiet an der Ahr

Oldenburg – Ab dem 10. Juli kam es in Mitteleuropa zu ergiebigen Niederschlägen, die in Deutschland ab dem 13. Juli insbesondere vom südlichen Ruhrgebiet bis an die Mosel in mehreren Landkreisen zu einer Eskalation der Hochwasserlage, teils bis hin zur Ausrufung des Katastrophenfalls, führten.

Aufgrund der Größe der Schadensgebiete und des Umfangs der Zerstörung stellten Nordrhein-Westphalen und Rheinland-Pfalz Hilfeleistungsersuchen an das Land Niedersachsen. Zahlreiche Einheiten aus dem gesamten BOS-Bereich wurden daher in die Schadensgebiete entsandt. Zeitweise waren über 1.500 niedersächsische Einsatzkräfte im Hochwassereinsatz. Während Kreisfeuerwehrbereitschaften primär nach NRW entsandt wurden, wurden ab dem 21.07. Führungskräfte der niedersächsischen Berufsfeuerwehren zur Unterstützung im Landkreis Ahrweiler eingesetzt.

In den 3 Kontingenten mit jeweils etwa 15 Einsatzkräften waren auch Kollegen aus Delmenhorst, Oldenburg und Wilhelmshaven vertreten. Für jeweils 4 Tage lagen deren Aufgaben in der Unterstützung der Einsatzabschnittsleitungen und der Besetzung des Sachgebiets 4 in der Technischen Einsatzleitung des Landes Rheinland-Pfalz. Diese war in der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung untergebracht. An- und Abreise erfolgte für die meisten Kollegen mit einem Sammelbus über die Feuerwache 1 in Hannover. Der erste Eindruck bei der Fahrt durch den Einsatzabschnitt Ahrweiler war ernüchternd und bedrückend. Während man auf der Autobahn kurz vor Ahrweiler durch üppig grüne Weinberge kam, lediglich auffällig viele Blaulichtfahrzeuge auf ein außergewöhnliches Ereignis hindeuteten, war der Schaden im Ort enorm. Die Aufgabe der TEL war anspruchsvoll. Das Schadensgebiet umfasste ca. 40 km Länge und war in 4 Einsatzabschnitte unterteilt, die sehr unterschiedlich stark betroffen waren. Während in einem Bereich über den Ortsrat angefragt wurde, wann die Reinigung der Straßen endlich erfolgen würde, gab es auch Tage nach Ereignis Gebiete, in denen die Versorgung mit dem nötigsten (Wasser, Lebensmittel, Energie, Kleidung) instabil bzw. nicht sichergestellt war. Das Wissen, den gesamten Tag von THW und Bundeswehr versorgt zu werden, während sich Menschen denen man helfen will aus den zerstörten Resten ihrer Habe versorgen, war bedrückend.

Bild: Bereitstellungsraum auf dem Nuerburgring

Obwohl die Gesamtlage kaum noch Dynamik aufwies, war sie schwer zu überblicken. Zum einen war es die schiere Größe des Schadensgebietes, zum anderen gab es auch Ende Juli noch Bereiche, die noch nicht abschließend aufgeklärt werden konnten. Instabile Halden aus angeschwemmten Trümmer, Geröll und Treibholz hätten beim Betreten zu einer hohen Eigengefährdung geführt, ohne eine Perspektive dort noch Menschen retten zu können. Die TEL bestand aus den klassischen 6 Sachgebieten, ergänzt um ein Sachgebiet, dass die Hilfsorganisationen selbst betrieben, sowie Fachberater von Telekom, BDBOS, Bundeswehr, Polizei und THW. Zusätzlich arbeitete ein Verwaltungsstab aus Führungskräften des Landkreises und von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinlandpfalz (ADD) sowie ein Stab der BABZ, der für den Hintergrundbetrieb zuständig war. Der Betrieb fand in 3 Schichten statt. Insgesamt arbeiteten in einer Tagschicht ca. 100 Personen für die Einsatzleitung, zuzüglich Versorgungseinheiten und Erkunder in wechselnder Stärke. In der Nacht konnte der Personalstand je nach Sachgebiet verringert werden. Die Aufgaben der TEL konzentrierten sich im Laufe der Zeit in Richtung Versorgung/Betreuung, Infrastruktur und Räumen.

Im Schadensgebiet lebten nach wie vor zehntausende Betroffene, drüber hinaus kam eine große Zahl freiwilliger Helfer hinzu. Die gesamte Infrastruktur für all diese Menschen hatte nach der Katastrophe schwere Schäden: während die Stromversorgung noch im Aufbau und unsicher war, funktionierte das Mobilfunknetz bereits wieder stabil, auch mit Hilfe des Satellitennetzwerkes Starlink. Der BOS-Funk funktionierte erst nach und nach wieder, es gab zeitweise Lücken in der Netzabdeckung. Die Einleitung von fäkalien- und mineralölhaltiger Abwässer machten das Wasser der Ahr unbrauchbar. Das Trinkwassernetz in weiten Teilen des Landkreises war –sofern vorhanden- verkeimt und musste vor Gebrauch abgekocht werden.
Die Versorgung der Bevölkerung, der Einsatzkräfte und Freiwilligen mit Wasser und Nahrung wurde damit zur zentralen Aufgabe der Arbeit im Sachgebiet 4. Kompliziert war die Vorplanung der Versorgung für die Folgetage. Die Zahl der freiwillige Helfer schwankte von Tag zu Tag und zwar sowohl die Summe der Helfer insgesamt als auch die Zahl der Helfer, die Verpflegung bereitstellten. Es fehlten sowohl Möglichkeiten die aktuellen Zahlen zu erfassen als auch verlässliche Prognosen für eine Vorplanung zu erstellen. Mehrfach wurden kurzfristig zusätzliche Mahlzeiten für das Mittagessen in hoher Zahl organisiert und transportiert. Ohne die robuste Infrastruktur und Transportkapazität der Bundeswehr wäre diese Aufgabe nicht lösbar gewesen. Die Feuerwehr der Bundeswehr und zeitweilig auch Wasserwerfer der Bereitschaftspolizei transportierten Brauchwasser zu IBC-Behältern im gesamten Ahrtal. Diese Behälter dienten als Zapfstellen für die Menschen im Schadensgebiet. Neben der Versorgung wuchs das Problem der Entsorgung immer mehr auf. Lebensmittel lagerten nunmehr seit Wochen ungekühlt in hunderten verschwemmten Kühlschränken, in Fleischereien und Ladengeschäften. Die Reinigung und Entleerung von 1.500 Mobiltoiletten musste organisiert werden. Hausmüll, Bauschutt, Fahrzeugwracks und Schlamm fielen in gewaltigen Mengen an. Die Abfuhr von Haus und Sperrmüll hat der Abfallwirtschaftsbetrieb koordiniert. Eine Heerschar von Helfern transportierte den Unrat zunächst zu verschiedenen Sammelpunkten und von dort aus weiter zu verschiedene Deponien und Verbrennungsanlagen.

Für Schlamm wurden mehrere Deponien eingerichtet. Ein provisorischer Schrottplatz entstand. Eine wichtige Aufgabe des Sachgebiets 4 der TEL bestand darin, zu unterstützen, dass dieses Uhrwerk, dass ohne unser Zutun gut funktionierte, weiter am Laufen blieb. Für Störungen sorgte beispielsweise sperriger Abfall. Neben Sonderabfällen stellten aufgetriebene oder zerstörte Heizöltanks eine größere Aufgabe dar. Bevor die Separationsanlage von THW und Ölwehr in Betrieb gehen konnte mussten bereits 1.500 m³ Öl-Wassergemisch abgefahren werden. Ein Unternehmen aus der Region koordinierte unzählige Saugwagen mit denen Schlamm, ölhaltiges Wasser und Abwasser transportiert wurden.
Der Einsatzabschnitt Logistik war auf dem Nürburgring untergebracht und wurde durch das THW geführt. Die Umsetzung realisierte ein Logistikbataillon der Bundeswehr. Viele offene Fragen haben wir mitgenommen: Wie gehen wir als organisierte Helfer künftig mit den nicht organisierten freiwilligen Helfern um. Wie organisiert man einen Stab von dieser Größe über Wochen und Monate, dass eine konstante Effizienz die maximal mögliche Hilfe zu den Menschen bringt. Wie können wir künftig soziale Medien effizient einsetzen.

Mit dem Verlassen des Schadensgebietes fuhren viele Eindrücke wieder zurück mit nach Niedersachsen. Das Gefühl, nicht fertig geworden zu sein beispielsweise, genauso wie das Wissen, über die Vulnerabilität unseres gesamten Lebensumfelds in mitten eines der reichsten Länder der Erde. Das Informationszeitalter treibt manchmal surreale Blüten: während niemand die Fähigkeiten hatte in den kleinen Orten entlang der Ahr Strom und Wasser in die Häuser zu bringen, war das mobile Internet schon wieder allgegenwärtig.
Es bleiben gemischte Gefühle: während wir in eine intakte Heimat zurückgefahren sind und uns mit erscheinen dieses Artikels vermutlich schon wieder Einkehr gehalten hat, bleiben im Ahrtal tausende, teils traumatisierte Menschen zurück, deren Rückkehr in ein normales Leben mittelfristig nicht absehbar ist.

Text: Oliver Schweder

Bilder: Feuerwehr Oldenburg

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